Manuel Rüegg
hat mit dem Verein Rickenloipe über 500 Kilometer gespurt.
Seit 2011 ist der Goldinger Urs Brändli Präsident von Bio Suisse. Über 90 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe sind Mitglied. Sie, wie auch der Verband mit der Knospe, sehen grossen Veränderungen in der Land- und Ernährungswirtschaft entgegen.
Urs Brändli, wie wird man Präsident von Bio Suisse?
Wir haben 1994 unseren Landwirtschaftsbetrieb auf Bio umgestellt und ein Jahr später unsere Nachbarn auch davon überzeugt. So konnten wir den ersten Bio-Tilsiter, in einer kleinen Käserei, die heute nicht mehr existiert, herstellen. Man wurde in der Bio-Milchszene auf mich aufmerksam und ich durfte dazu beitragen, diese besser zu organisieren. Ab 2001 war ich in der Fachkommission von Bio Suisse. Zu jener Zeit war jeder dritte Liter Bio-Milch überschüssig. Uns war klar, dass nicht die Milch das Problem war, sondern die fehlenden Kunden. Bis 2010 konnten wir den Bio-Milchmarkt stabilisieren. Das war wohl ausschlaggebend dafür, dass ich 2011 als Nichtvorstandsmitglied zum Präsidenten gewählt wurde.
Was ist Ihre wichtigste Aufgabe?
Den Verband mit der Knospe nach aussen vertreten. Dazu gehört die Kommunikation, aber auch stets ein offenes Ohr zu haben. Das kann beispielsweise für Produzenten, Verarbeitungsbetriebe oder die höchsten Chefs der Detailhändler sein. Wichtig ist mir stets ein respektvoller Umgang.
2015 haben Sie Ihren Hof in Goldingen an die nächste Generation übergeben. Wie sieht heute ein typischer Tag für Sie aus?
Ich arbeite noch etwa 800 Stunden auf dem Hof meines Sohnes. Wir sind ein gutes Team, aber Leon ist der Boss. Im Winterhalbjahr bringe ich jeden zweiten Tag am Morgen die Milch zum Sammelplatz nach Goldingen. Das ist aber die einzige Konstante. Ansonsten bin ich oft in der ganzen Schweiz unterwegs für Besprechungen, Sitzungen oder Tagungen. Hinzu kommt viel administrative Arbeit in meinem Büro.
In der Schweiz gibt es zahlreiche Bio-Labels.
Etwa 93 Prozent aller Höfe sind Mitglied bei Bio Suisse. Nicht dabei sind oft Betriebe, die alles selbst vermarkten. Oder sie liegen sehr abgelegen und können aus logistischen Gründen ihre Güter nicht in Knospe-Kanäle liefern. Unser Label verkaufen darf jeder Händler. Aber wer die Knospe für Eigenmarken nutzen will, muss, wie die Bio-Betriebe, strenge Anforderungen erfüllen. Wer einen Lizenzvertrag will, muss eine minimale Breite im Bio-Sortiment anbieten.
Wer kontrolliert das?
Das obliegt unabhängigen staatlich akkreditierten Kontrollfirmen. Für die Bauern gibt es zwei, bei Verarbeitung und Handel sind es vier. Einmal jährlich werden alle Betriebe überprüft, Risikobetriebe zum Teil mehrfach. Auch die Knospe ist staatlich akkreditiert. Man kann sich also darauf verlassen, dass wo die Knospe draufsteht, auch wirklich Bio drin ist. Dies gilt auch für importierte Knospe-Produkte.
Wie hebt sich der Verband mit der Knospe, von anderen Labels ab?
Wir sind wohl der lebhafteste Verband in der Schweiz! Man kann bei uns, im Gegensatz zu anderen Verbänden, zu einem traktandierten Geschäft unmittelbar an der Delegiertenversammlung noch einen Antrag stellen. Im Vergleich zu vielen anderen Labels gehört die Knospe den Bauern und nicht einem Detailhändler.
Warum soll sich der Konsument für Bioprodukte entscheiden?
Wenn ich mir und der Umwelt etwas Gutes tun möchte, sind Bioprodukte eine gute Wahl. Zudem versprechen sie, dank der schonenden Verarbeitung auch Genuss. Ich bin vierfacher Grossvater und mag das Wort «enkelwürdig». Das heisst ich will meinen Grosskindern heute, wie auch in der Zukunft, mit gutem Gewissen in die Augen schauen können. Menschen, die denken persönliches Engagement bringe nichts entgegne ich jeweils, dass jeder Einkauf auch eine Bestellung ist. Was ich beim Händler aus dem Gestell nehme, wird in derselben Qualität nachgefüllt.
Welche Vorteile hat ein Landwirt, wenn er für das Bio-Suisse-Label produziert?
Er gewinnt zweimal, denn er hat in der Regel eine grössere Wertschöpfung und geniesst mehr Wertschätzung, wie er seinen Betrieb bewirtschaftet.
In der Land- und Ernährungswirtschaft stehen grosse Veränderungen an. Wie äussern sich diese?
Für die Landwirtschaft bedeutet es Lösungen in Zusammenhang mit den klimatischen Veränderungen zu finden. Seit 2018 hatten wir mindestens drei Jahre, die selbst in unseren Breitengraden, sehr trocken waren. Eine weitere Komponente ist die steigende Population. Der Bund setzt weiterhin auf 50 Prozent Eigenversorgung. Um dies zu gewährleisten, müssen wir mehr Ackerfläche für die menschliche Ernährung nutzen und künftig mehr auf pflanzliche Ernährung setzen. Das heisst aber nicht auf Fleisch zu verzichten. Rund 70 Prozent unseres Landes ist Grasland. Nur die Wiederkäuer können das für uns in Lebensmittel umwandeln. Sprich, wir müssen uns beim roten Fleisch oder der Milch nur wenig einschränken, dafür aber beim Schweine- oder Pouletfleisch. Hühner verzehren zu 95 Prozent Ackerfutter. Für sie sind aber Futteralternativen denkbar wie Algen- oder Insektenprodukte.
Wie positioniert sich Ihr Verband diesbezüglich?
In der Klimastrategie weisen wir unter anderem darauf hin, dass auch die Qualität der Böden und jene der Gewässer in den klimatischen Prozessen eine tragende Rolle einnehmen. Gerade sie bilden die Grundlage für Nahrung. Sie sind für uns alle ein kostbares Gut und für die Landwirte existenziell. Wenn wir wollen, dass sich das Konsumverhalten ändert, muss auch die Politik mitziehen. Der Anbau von Hülsenfrüchten oder Hafer sind in der Schweiz heute nicht konkurrenzfähig. Man setzt auf Importe. Die tierische Produktion wird vom Bund stark gefördert. Das macht es für die Bauern unattraktiv auf pflanzliche Landwirtschaft zu setzen. Da müssen wir Lösungen finden. Aber auch der Handel ist gefragt. Es kann nicht sein, dass man den Menschen empfiehlt weniger Fleisch zu konsumieren aber dieses ständig mit Aktionen schmackhaft macht.
Warum sind Bioprodukte äusserlich von herkömmlichen kaum zu unterscheiden?
Wir sind dazu erzogen worden und haben uns an perfekte Lebensmittel gewöhnt. Heute wertet man die äusserliche Qualität höher als die Innere. Das ist schade, denn aus gesundheitlichen Aspekten müsste es umgekehrt sein. Man könnte im Detailhandel einwandfreie Erst-, und Zweitklasseprodukte zu günstigeren Preisen anbieten und so dem «Food Waste» effektiv begegnen.
Bioprodukte sind in der Regel teurer. Womit lässt sich das begründen?
Das beginnt schon auf dem Hof. Wir haben tiefere Erträge und einen grösseren Arbeitsaufwand. Zudem haben wir bei Hilfsstoffen meist höhere Kosten. Dies spürt der Landwirt zum Beispiel beim Kauf von Kraftfutter. Auch die Kontrollkosten schlagen zu Buche. In der Verarbeitung sind es die Warenflusstrennung, die kleineren Chargen und die Kontrollen. Im Detailhandel ist es das breite Sortiment. Es gibt Bioprodukte mit wenig Umtrieb, die nur wenig Ertrag abwerfen. Der Handel aber ist interessiert an grossen Mengen, wo auch tiefe Margen Renditen bringen.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Es wäre schön, wenn wir uns gegenseitig wieder besser zuhören könnten. Und ja, dass die Menschen sich bewusst werden, dass jeder kleine Beitrag zur Unterstützung des biologischen Gedankens, wertvoll ist.
Interview: Andreas Lehmann
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